Photovoltaik in der Altstadt von Wernigerode: Klimaschutz braucht klare Regeln – nicht neue Hürden

Denis Mau/ Dezember 14, 2025/ Energiewende, Photovoltaik, Stadtrat, Stadtrat Wernigerode, Uncategorized, Wernigerode/ 0Kommentare


Photovoltaik, Altstadtsatzung, Denkmalschutz: Worum es in Wernigerode gerade wirklich geht

Wernigerode steht – wie viele historische Städte – vor einer einfachen Wahrheit: Klimaschutz gelingt nur, wenn wir Erneuerbare Energien auch dort ermöglichen, wo Menschen leben, arbeiten und Energie verbrauchen. Das gilt ausdrücklich auch für Altstädte und Denkmalbereiche.

Die Debatte um § 8 Abs. 4 der Altstadtsatzung zeigt: Es braucht Regeln – ja. Aber es braucht klare, technisch sinnvolle und wirtschaftlich zumutbare Regeln. Genau daran scheitern manche Vorschläge derzeit.

Infobox – Kurz gesagt

  • Pro Photovoltaik: PV ist ein zentraler Baustein lokaler Energiewende.
  • Pro Stadtbild: Gestaltung ja – aber bitte praxistauglich und rechtssicher.
  • Gegen Scheinlösungen: Forderungen wie „kein Aluminiumrand“ oder „keine Unterbrechung“ sind realitätsfern und treiben Kosten ohne Mehrwert.
  • Beste Lösung: Eine „Anlage Solar“ (separates Regelwerk) mit Zonierung und Prüfkriterien – statt Detailzwang in der Satzung.

Warum der schärfere Antrag fachlich in die falsche Richtung läuft

Im Änderungsantrag (Beiblatt 034/01/2025) wird vorgeschlagen, PV-Anlagen nur zuzulassen, wenn sie u. a. monochrom, matt ausgeführt sind, keinen Aluminiumrand besitzen und nicht durch Gauben, Schornsteine, Entlüftungsrohre o. ä. unterbrochen werden :contentReference[oaicite:5]{index=5}.

Das klingt nach „Ästhetik“. In der Praxis ist es jedoch vor allem eins: eine zusätzliche Hürde, die viele Eigentümerinnen und Eigentümer faktisch abschreckt – und zwar ohne, dass dadurch automatisch ein besseres Stadtbild entsteht.

1) „Kein Aluminiumrand“: Das schürt Verunsicherung – und ignoriert die Marktrealität

Die Forderung „kein Aluminiumrand“ wirkt, als solle sie „gewöhnliche“ Module ausschließen. Das Problem: Rahmen aus Aluminium sind bei den meisten Standard-PV-Modulen der Normalfall. Es gibt zwar rahmenlose bzw. spezielle Glas-Glas-Konstruktionen – aber diese sind nicht der Standard und können Verfügbarkeit, Montagekonzept und Preis deutlich verändern.

Wenn man Eigentümerinnen und Eigentümern ernsthaft PV ermöglichen will, dann ist „kein Aluminiumrand“ keine Gestaltungsvorgabe – es ist in vielen Fällen ein verkapptes Ausschlusskriterium. Gestaltung kann man über Blendfreiheit, Farbwirkung, Modulflächenordnung und Sichtbeziehungen steuern – nicht über künstliche Materialverbote, die am Markt vorbeigehen. Daran kennt man deutlich, dass der Herr Thurm als Antragsteller keine Ahnung hat oder durch die Hintertür zusätzlich Hürden schafft.

2) „Nicht unterbrechen“: praxisfern und technisch sinnlos

Die Forderung, Anlagen dürften nicht durch Gauben/Schornsteine/Entlüftungen unterbrochen werden, ist in einer historischen Dachlandschaft schlicht praxisfern. Gerade Altstadtdächer sind kleinteilig, technisch durchdrungen und konstruktiv komplex. Eine „perfekt rechteckige“ Fläche ist dort eher Ausnahme als Regel.

Wer so etwas zur Bedingung macht, sorgt am Ende nicht für „schönere PV“, sondern für: weniger PV. Und zwar genau dort, wo Eigenstrom, Wärmepumpe und E-Mobilität künftig am dringendsten zusammenkommen.

3) „Schlossterrasse“ als Maßstab: rein subjektiv – und sogar jahreszeitabhängig

Der Blick von der Schlossterrasse wird in der Debatte oft wie ein objektives Messinstrument behandelt. Das ist er nicht. Ob etwas „stört“, ist hochgradig subjektiv – und im Fall der Schlossterrasse zusätzlich jahreszeitabhängig (Laubbäume: Winter transparenter, Sommer dichter). Wer hier mit maximaler Strenge argumentiert, tut so, als gäbe es eine einzige „richtige“ Wahrnehmung. Die gibt es nicht.

Und noch ein Punkt, der in der Debatte oft unterschlagen wird: Wernigerodes Dachlandschaft ist ohnehin historisch gemischt – rote Ziegel, dunkler Schiefer, unterschiedliche Epochen, Umbauten, Wiederaufbau, Sanierungen. Ausgerechnet bei PV so zu tun, als gäbe es eine „einheitliche“ Dachoptik, ist eine romantisierte Erzählung – aber keine belastbare Planungsgrundlage.


Rechtlicher Rahmen: Erneuerbare sind nicht „nice to have“, sondern besonders zu gewichten

Wer PV im Denkmal-/Altstadtbereich beurteilt, kann das nicht mehr mit dem Mindset „erst Denkmalschutz, dann vielleicht Solar“ tun. Die rechtliche Lage hat sich deutlich verschoben: Erneuerbare Energien sind in Abwägungen besonders stark zu berücksichtigen – und dürfen nur in Ausnahmefällen zurückgedrängt werden.

Seit der Reform ist klar: Erneuerbare Energien haben in Abwägungsentscheidungen ein besonderes Gewicht.

  • § 2 EEG ordnet an, dass Errichtung und Betrieb erneuerbarer Anlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen; bis zur weitgehenden Treibhausgasneutralität sollen sie als vorrangiger Belang in Schutzgüterabwägungen eingebracht werden.
  • Das ist kein „Freifahrtschein“, aber es verschiebt die Messlatte: Wer Erneuerbare begrenzen will, braucht substantielle, atypische Gründe – nicht bloß Bauchgefühl oder pauschale Optik-Argumente. Diese Einordnung wird auch in der Fachauswertung zu § 2 EEG 2023 deutlich. Stiftung Umweltenergierecht+1

Sachsen-Anhalt: Runderlass als klare Leitplanke

Für Sachsen-Anhalt kommt ein weiterer, sehr praxisrelevanter Baustein dazu:
Der Runderlass vom 22.12.2023 sagt zur denkmalrechtlichen Genehmigung von Solaranlagen auf Kulturdenkmalen (Kurzfassung, aber eindeutig):

  • Genehmigungen sind regelmäßig zu erteilen; nur bei erheblicher Beeinträchtigung kommt eine Ablehnung in Betracht. Landesportal Sachsen-Anhalt
  • Eine erhebliche Beeinträchtigung ausschließlich des Erscheinungsbildes/der Umgebung ist bis zur Klimaneutralität grundsätzlich kein überwiegender Grund, sofern die Anlage reversibel ist. Landesportal Sachsen-Anhalt
  • Pauschalverbote über „Denkmalbereiche“ sind ausdrücklich problematisch: „Ungestörte Dachlandschaft“ allein trägt eine Ablehnung nicht. Landesportal Sachsen-Anhalt

Das ist die Latte, an der sich kommunale Satzungen messen lassen müssen.

Andere Städte zeigen, wie man es praktisch löst – ohne Symbolverbote

Lübeck (UNESCO-Welterbe) hat einen Solarleitfaden erarbeitet, der beides zusammenbringt: Erhalt der Dachlandschaft und Ausbau von Solarenergie. Besonders wichtig ist dort der Grundsatz, dass die Entscheidung zugunsten einer PV-Anlage nicht durch wirtschaftlich unzumutbare Auflagen konterkariert werden darf – teure Sonderlösungen sollen in der Regel nicht verlangt werden.

Heidelberg (Alt-Heidelberg) geht sehr strukturiert vor: Die Altstadt wird in Zonen eingeteilt (Kernzonen vs. weniger sensible Bereiche), es gibt Gestaltungsziele (Unterordnung, geringe Eigenwirkung, reduzierte Reflexion) und klare Kriterien, wann Genehmigungen regelmäßig erteilt werden.

Und genau das ist der entscheidende Punkt: Regeln funktionieren dann gut, wenn sie nachvollziehbar, prüfbar und verhältnismäßig sind. Nicht, wenn sie wie „Wünsch-dir-was“ wirken.


Der bessere Weg für Wernigerode: „Anlage Solar“ statt Satzungsdetail-Falle

Der alternative Ansatz (Beiblatt 034/02/2025) ist deshalb der deutlich klügere: PV grundsätzlich ermöglichen – und Details in einer „Anlage Solar“ regeln, die bei Bedarf einfacher angepasst werden kann. Das ist genau das, was moderne Verwaltungen machen, wenn Technik, Rechtsprechung und Markt sich dynamisch entwickeln.

Was in eine „Anlage Solar“ gehört (Vorschlag)

  • Zonierung (z. B. Kernbereich historische Altstadt / Übergangsbereiche / weniger sensible Gebiete) – analog zu Best-Practice wie Heidelberg :contentReference[oaicite:12]{index=12}.
  • Sichtbarkeit: Priorität für nicht einsehbare Dächer; bei Sichtbarkeit klare Kriterien (Abstand zur Dachkante, ruhige Flächenordnung, Blendfreiheit).
  • Oberfläche & Reflexion: matt/nicht spiegelnd als Standard (technisch und ästhetisch sinnvoll).
  • Farblichkeit: „weitgehend angepasst“ als Ziel – aber ohne faktische Ausschlüsse und ohne Kostenexplosion.
  • Keine Fake-Verbote: kein pauschales „kein Aluminiumrand“; stattdessen „keine stark metallisch glänzenden, reflexionsstarken Elemente“ (prüfbar, praxisnah).
  • Technische Mindestunterlagen: Foto-Doku, Dachaufsicht, Sichtachsen (z. B. von öffentlichen Punkten), Datenblatt/Reflexionsangaben, Montageplan.
  • Verfahren: Beratungstermin/Pre-Check (wie Lübeck), feste Bearbeitungsfristen, klare Checkliste.

Merksatz: Wer PV wirklich will, schreibt Regeln so, dass sie in der Realität funktionieren – nicht so, dass sie auf dem Papier „hübsch“ wirken.

Technische Rahmenbedingungen: Was Eigentümerinnen und Eigentümer wirklich brauchen

Damit die Debatte nicht weiter von Halbwissen geprägt wird, hier die Praxis:

  • Statik & Dachsubstanz: Gerade bei älteren Dachstühlen muss die Tragfähigkeit geprüft werden.
  • Blendfreiheit: Moderne Module sind oft bereits anti-reflex beschichtet; das kann (und sollte) konkret bewertet werden.
  • Brandschutz & Elektro: Planung/Installation nur durch Fachbetriebe; Leitungsführung und Abschaltkonzepte sind Standardthemen.
  • Netzanschluss & Formalien: Anmeldung beim Netzbetreiber und Registrierung (z. B. Marktstammdatenregister) gehören zum Prozess.

FAQ

Ist PV in der Altstadt grundsätzlich verboten?
Nein. Es geht um Genehmigungsfähigkeit unter Gestaltungsvorgaben – und diese müssen verhältnismäßig und rechtssicher sein.

Kann die Stadt „Sonderlösungen“ verlangen?
Nur sehr begrenzt. Wenn Auflagen wirtschaftlich unzumutbar sind, kippt das die Abwägung. Genau das wird in Praxisleitfäden (z. B. Lübeck) ausdrücklich betont.

Was ist die beste Lösung für Wernigerode?
Eine „Anlage Solar“ mit Zonierung, Prüfkriterien und Checkliste. Damit bleibt die Altstadtsatzung schlank – und die Stadt kann auf technische und rechtliche Entwicklungen reagieren, ohne jedes Mal ein komplettes Satzungsverfahren neu zu starten.

Mein Fazit: Stadtbild schützen – Energiewende ermöglichen

Wernigerode kann beides: Denkmalschutz ernst nehmen und Photovoltaik ermöglichen. Was wir nicht brauchen, sind Symbolforderungen, die in der Realität entweder gar nicht umsetzbar oder nur für sehr wenige bezahlbar sind.

Die Debatte sollte daher weg von „Aluminiumrand-Panik“ und hin zu einem vernünftigen Standard: blendarm, ruhig geordnet, standortgerecht, zoniert – und mit fairen Verfahren.


Quellen & weiterführende Links

Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine Rechtsberatung, sondern ordnet die Debatte fachlich und politisch ein.

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