Hybride Kriegsführung: Warum die deutsche Industrie zur Frontlinie geworden ist – und weshalb die AfD keine patriotische Antwort liefert
Es ist nur ein flackernder Cursor am Leitstand, ein kurzer Ausschlag im Monitoring – und plötzlich steht eine Schicht. Wer heute in Deutschland baut, fräst, härtert, lackiert, der arbeitet nicht mehr „nur“ in einer Fabrik. Er arbeitet auf einem Schlachtfeld, das keiner so genannt haben will: der Schnittstelle aus Kabel, Code und Kommunikation.
Die neue Verwundbarkeit der Industrie beginnt nicht mit Schlagzeilen, sondern mit Kleinigkeiten: ein verwaistes Login, ein ungepatchter Server, eine scheinbar harmlose DLL in einem Zuliefernetz. Aus solchen Petitessen meißeln Gegner Angriffsflächen. Hybride Kriegsführung ist kein Theoriemodul aus einer sicherheitspolitischen Vorlesung – sie ist Praxis: Cyberangriffe, Einflussoperationen, wirtschaftliche Verstrickungen. Russland perfektioniert die Störung, China perfektioniert das Leise. Die eine Faust schlägt, die andere tastet. Gemeinsam testen sie, wo unser Gemeinwesen knirscht.
Deutschlands Unternehmen stehen unter Dauerbeschuss: Ransomware, Spionage und Sabotage treffen Mittelstand wie Konzerne. Laut Bitkom-Studie „Wirtschaftsschutz 2025“ waren 87 % der Firmen in den letzten 12 Monaten betroffen; der wirtschaftliche Schaden summiert sich auf 289,2 Mrd. € – Tendenz steigend. Besonders häufig führen Spuren nach Russland und China (je 46 % der betroffenen Unternehmen). Bitkom e. V.+1
Die Lage ist nicht nur „Cybercrime“: Behörden beschreiben ein hybrides Bedrohungsbild aus Cyberangriffen, Desinformation, Spionage und Sabotage. Das BMI und die EU sprechen ausdrücklich von koordinierten hybriden Kampagnen (u. a. durch Russland). BMI Bundesministerium für Inneres+1
Was aktuell passiert: konkrete Fälle aus der Industrie
- Thyssenkrupp Automotive: 2024 bestätigter Ransomware-Angriff mit Produktionsstörungen. SecurityWeek
- Rheinmetall (Zivilbereich): Cyberangriff 2023, später bezifferter Schaden ~10 Mio. €; der Konzern spricht von täglichen Angriffsversuchen. Reuters
- Breiter Trend: Der BSI-Lagebericht 2024 identifiziert Ransomware und DDoS als Kernbedrohungen für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen. BSI
Parallel wächst das Risiko kritischer Infrastrukturen: Das BSI warnte 2025 explizit vor neuen Verwundbarkeiten im Stromnetz – ein ideales Ziel hybrider Gegner. bankinfosecurity.com+1
Hybride Kriegsführung: Russlands und Chinas Werkzeugkasten
- Russische APTs: Die Bundesregierung hat 2024 APT28/GRU für Angriffe auf SPD, Luft- und Raumfahrt sowie Rüstungsfirmen verantwortlich gemacht; NATO/EU stellten sich hinter Berlin. Reuters+1
- Chinesische Cyberökonomie: Der BfV „Cyber Insight“ analysiert die i-Soon-Leaks – ein Blick in die Industrialisierung staatlich gesteuerter Spionage über private Dienstleister. Bundesamt für Verfassungsschutz
- Einbettung in Desinformation & Sabotage: Der Verfassungsschutzbericht 2024 warnt vor einem Mix aus Cyberangriffen, Spionage, Desinformation und Sabotage; die EU verurteilt fortdauernde russische hybride Kampagnen. Bundesamt für Verfassungsschutz+1
Was Angriffe im Maschinenraum anrichten
In der Werkhalle zählt Rhythmus. Wenn Ransomware den Takt unterbricht, stehen nicht nur Maschinen, sondern Wertschöpfungsketten. Jedes heruntergefahrene Band ist ein Warnsignal, das Zeit und Vertrauen frisst – bei Kunden, in der Bank, im Aufsichtsrat. Spätestens dann merkt auch der Mittelstand, dass „IT-Sicherheit“ kein IT-Projekt ist, sondern Standortpolitik.
Und während das SOC den Log-Sturm sortiert, tobt parallel die zweite Welle: Desinformation. Sie will nicht nur Köpfe, sie will Entscheidungen – Lieferstopps, Sanktionen, Exportkontrollen, Investitionen. Wer hier das Framing gewinnt, kann politische Kosten treiben oder drücken. So funktioniert Hybridität: Der Cyberangriff ist die Faust, die Desinformation die Hebelwirkung.
Fünf Ebenen der hybriden Verwundbarkeit
- Cyber: Ransomware, Spionage, Sabotage. Erst Datenklau, dann Erpressung.
- Narrative: Zweifel säen, Verantwortung verdrehen, Öffentlichkeit ermüden.
- Ökonomie: Abhängigkeiten in Lieferketten, seltene Metalle, Marktzugänge – geopolitisch bepreist.
- Politik: Demokratie als „Bremse“ framen, Sanktionen als „Selbstschaden“ brandmarken, Abschreckung delegitimieren.
- Institutionen: Parteien, Parlamente, Verbände – dort, wo Regeln gesetzt werden, ist Einfluss besonders billig.
Wo die AfD ins Bild rückt
Ein Patriotismus, der den Namen verdient, schützt Freiheit, Souveränität und die Menschen, die aus beidem Wohlstand machen. Genau hier setzt die AfD die falschen Akzente.
- Ermittlungen, Verurteilungen, Netzwerke
- China-Spionagefall Guo: Ein Ex-Mitarbeiter des AfD-Politikers Maximilian Krah wurde am 30. Sept. 2025 wegen Agententätigkeit für China zu 4 Jahren 9 Monaten verurteilt. (Krah selbst bestreitet Fehlverhalten; Verfahren gegen ihn laufen separat.) The Washington Post
- „Voice of Europe“: Die EU sanktionierte 2024 das prorussische Netzwerk um Viktor Medwedtschuk; deutsche AfD-Akteure wie Petr Bystron gerieten wegen mutmaßlicher Geldflüsse in den Fokus – er bestreitet dies, Ermittlungen/Immunitätsfragen laufen. Reuters+2Euractiv+2
- Russische Einflusskampagnen zugunsten der AfD: Ein Reuters-Bericht (Jan 2025) referiert eine Think-Tank-Analyse zu gezielten Desinformationskampagnen mit dem Ziel, die AfD zu stärken und den Wahlkampf zu beeinflussen. Reuters
- Positionen und Stimmverhalten mit sicherheitspolitischer Wirkung
- Unabhängige Analysen attestieren der AfD Russland-Nähe (z. B. Ablehnung von Sanktionen/Waffenpaketen) und eine China-freundliche Linie, die sicherheitspolitische Risiken unterschätzt. Beispiele liefert u. a. The Economist (China-Linie) sowie Correctiv (Auswertung von Abstimmungen/Positionen zur Ukraine). The Economist+1
- Verfassungsschutz-Bewertung
- Der BfV warnt generell vor ausländischer Einflussnahme; zur AfD laufen rechtliche Auseinandersetzungen um Einstufungen. 2025 stufte das BfV die AfD auf Bundesebene als „gesichert rechtsextremistisch“ ein; parallel strittig vor Gericht (einige Verfahrensschritte → vorläufige Aussetzungen/Bestätigungen in Teilfragen). Unabhängig davon: Die Sicherheitsbehörden sehen hybride Gefahrenlagen, die durch anti-westliche Narrative politischer Akteure innenpolitisch angreifbarer machen. LTO+2Bundesverwaltungsgericht+2
- Warum das nicht patriotisch ist
- „Patriotisch“ hieße, deutsche Sicherheit, Souveränität und Arbeitsplätze zu schützen. Wer aber (1) russische/chinesische Narrative übernimmt, (2) Sanktionen/Abschreckung unterminiert, (3) Desinformation normalisiert und (4) die Gefährdungslage kleinredet, begünstigt genau die hybriden Ziele unserer Gegner: Spaltung, wirtschaftliche Schwächung, technologische Abhängigkeiten. Das steht diametral zu deutschen Sicherheits- und Industrieinteressen. Europäischer Rat+1
Das Ergebnis ist mehr als Stilfrage. Es ist eine Sicherheitslücke. Wer russische und chinesische Narrative normalisiert, schafft innenpolitische Hebel für jene, die außenpolitisch auf Deutschlands Schwäche setzen.
„Patriotismus ist nicht die Pose des Dagegenseins, sondern die Pflicht zur Wehrhaftigkeit.“
Was jetzt zählt: Schild, Spiegel, Kompass
- Der Schild: Segmentierte Netze, Härtung nach NIS2, gespiegelte Backups, OT-IT-Trennung, Lieferketten-Sicherheit (SBOM, Patching-SLAs), Krisenübungen im Vorstandskalender – nicht im Hochglanzreport.
- Der Spiegel: Monitoring nicht nur für Systeme, sondern auch für Narrative. Desinfo gehört ins Risikoregister – inklusive Gegenrede-Protokoll.
- Der Kompass: Politische Klarheit. Europa ist Hebel, nicht Handicap. Energie- und Rohstoffwende sind Sicherheitsprojekte. China braucht Realismus, Russland braucht Abschreckung – beides braucht Geduld.
Fazit
Deutschlands Industrie trägt das Rückgrat unseres Wohlstands – und ist längst Frontlinie in einem hybriden Machtkampf. Wer – wie prominente Teile der AfD – Moskau-/Peking-Narrative bedient, Sanktionen schwächt oder Einflussnetzwerke kleinredet, handelt nicht im deutschen Interesse. Sicherheit beginnt mit Klartext: wehrhafte Demokratie, robuste Unternehmen und klare Kante gegen autoritäre Einflussnahme – online wie offline. Bitkom e. V.+2Bundesamt für Verfassungsschutz+2
Deutschlands Industrie ist nicht Opfer. Sie ist eine Macht – wenn Wir begreifen, dass Souveränität Arbeit ist. Wer diese Arbeit mit antiwestlicher Pose unterläuft, handelt nicht patriotisch. Wer dagegen Systeme härtet, Abhängigkeiten abbaut, Narrative kontert und Europas Handlungsfähigkeit stärkt, schützt genau das, was in jeder Werkhalle hängt: unser Morgen.
Anmerkungen zur Einordnung
- Unschuldsvermutung: In laufenden Verfahren (z. B. Bystron) gilt die Unschuldsvermutung; der Beitrag referiert den öffentlichen Ermittlungsstand. Euractiv+1
- Gerichtliche Verfahren zur AfD-Einstufung laufen; einzelne Entscheidungen wurden bestätigt, anderes ist vorläufig ausgesetzt. Bundesverwaltungsgericht+1